
Jugend um jeden Preis
Der diesjährige Oscar-Gewinner THE SUBSTANCE bietet Genrekino für Hartgesottene – und liegt abseits vom Streamingdienst MUBI nun auch auf DVD, Blu-ray und als 4K UHD vor.
Nach wie vor hat die Traumindustrie Hollywoods ein Problem: Für Frauen in den Mittvierzigern ist es mit der großen Karriere schnell vorbei, wenn sie erste Anzeichen ihres Alterns zeigen und nicht den Sprung ins Charakterfach schaffen. Dem sexistischen Schönheitsideal beugte sich 90er-Jahre-Star Demi Moore („Die Akte Jane“) mit zahlreichen chirurgischen Eingriffen, bis sie in den letzten Jahren nur noch kleine Rollen in vergleichsweise kleinen Produktionen ergattern konnte. Auch deswegen war sie die perfekte Besetzung für die Hauptrolle in dem mit dem diesjährigen Make Up-Oscar ausgezeichneten Horrorthriller THE SUBSTANCE.
In ihrer beliebten Aerobic-Sendung „Sparkle Your Life“ regt Elisabeth Sparkle (Demi Moore) schon seit Jahren Fernsehzuschauer zu körperlicher Betätigung an. Doch damit ist an ihrem 50. Geburtstag Schluss: Der chauvinistische TV-Produzent Harvey (Dennis Quaid) entlässt sie – und sucht nach einer sehr viel jüngeren Nachfolgerin. Durch Zufall erfährt Elisabeth von der „Substanz“, durch die sie aller sieben Tage ein jüngeres Selbst erschaffen kann. Tatsächlich schafft die bildschöne junge Sue (Margaret Qualley) schnell den Durchbruch mit einer eigenen Fitness-Show, doch versucht sie sich bald ihrer zunehmend ausgezehrten „Matrix“ Elisabeth zu entledigen und die alleinige Existenz zu übernehmen – mit fatalen Folgen...
THE SUBSTANCE rechnet mit toxisch-viriler Männlichkeit und den Schönheitsidealen der Entertainmentbranche ab, kritisiert mangelnden Respekt an der älteren Generation und verstört mit weiblichen Sexualmetaphern, wenn Sue aus Elisabeths Rückgrat schlüpft, was der Geburt aus einer klaffenden Vagina ähnelt. Besonders in der letzten halben Stunde, wenn sich ein groteskes Mutantenwesen in eine Live-Silvestershow schleppt, erinnert das deutlich an den Body-Horror von David Cronenberg („Die Fliege“) – nur dass THE SUBSTANCE (zunächst) in regelrecht klinisch reinen Räumen spielt und neben unentwegten verzerrenden Weitwinkelaufnahmen oder langen Einstellungen mit dem Ausstellen der Rundungen des weiblichen Körpers stilisiert bebildert ist. Gerade weil sich Regisseurin und Drehbuchautorin Coralie Fargeat („Revenge“) jener Hochglanz-Bilder mit dem male gaze als Schauwerte bedient, die sie eigentlich ablehnt, konterkariert das ihre feministische Botschaft ein Stückweit.
Aber: Durch viel Blut und einige verstörende Ekelszenen, die den zunehmenden körperlichen Verfall von Elisabeth schaurig-schön illustrieren, und einen wummernd-düsteren Synthie-Score ist THE SUBSTANCE eine unentwegt pulsierende, ebenso einprägsame wie mitreißende Seherfahrung, der man(n) sich nicht entziehen kann. Schade, dass es nur ein 2-minütiges Interview mit Coralie Fargeat als Bonus auf die darüber hinaus sehr puristisch ausgestatteten physischen Releases geschafft hat. Die sechs exklusiven Artcards, die darüber hinaus zwischenzeitlich angekündigt waren, sind nur als Zugabe für die britischen Veröffentlichungen enthalten.
LUTZ GRANERT
Titel: THE SUBSTANCE
Label: MUBI
Land/Jahr: GB/F 2024
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 141 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht
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