Tolerant – außer gegenüber Schwulen
Das DEFA-Beziehungsdrama COMING OUT gilt heute als Kultfilm und liegt mit zwei limitierten Coverversionen im Mediabook erstmals auf Blu-ray vor.
In den 46 Jahren ihres Bestehens produzierte die Filmgesellschaft DEFA insgesamt rund 700 Spielfilme. Auch wenn sich die DDR-Führung mit den Werten wie Offenheit und Toleranz in ihrem Staat rühmte: Nur in COMING OUT wurde das Thema Homosexualität offen thematisiert – nachdem Regisseur Heiner Carow („Die Legende von Paul und Paula“) jahrelang gegen die Widerstände von Hans-Dieter Mäde, Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme kämpfen musste. Das preisgekrönte Beziehungsdrama, das zum Mauerfall am 9. November 1989 seine Premiere feierte, ist somit zweifelsohne ein wichtiger Film – auch wenn besonders die Szenen um Unterricht (bis zum finalen „Ja“) und in der Schule generell etwas arg plump und realitätsfern wirken.
Hier rennt der neue und progressive Deutschlehrer Philipp Klarmann (Matthias Freihof) in seine Kollegin Tanja (Dagmar Manzel), die Nasenbluten davonträgt. Beide gehen zusammen aus, kommen sich näher, gehen eine Beziehung ein – bis Redford auftaucht, mit dem Philipp in seiner Jugend eine Affäre hatte, bis die Eltern diese beendeten. Philipp versucht sich über seine sexuelle Orientierung klarzuwerden und landet beim Streifen durch die nächtlichen Straßen Ost-Berlins auf einer queeren Faschingsparty in der Schwulenbar „Burgfrieden“. Hier trifft er auf den jungen Matthias (Dirk Kummer). Die beiden verlieben sich, treffen sich später wieder, haben Sex. Dann mehrere Tage Pause. Bei einem Wiedersehen der Männer kommt heraus, dass Philipp mit Tanja zusammen ist – was Matthias das Herz bricht. Philipp beendet seine Beziehung mit Tanja und versucht, seine Liebe zu retten...

Denkwürdig ist eine Dialogszene im „Burgfrieden“, als der graumelierte Walter (Werner Dissel) zum Leeren eines Tabletts voller Weinbrand-Gläser gegenmontiert mit Großaufnahmen anderer Bargäste dem verzweifelten Philipp seine Lebensgeschichte erzählt. Diese reicht von seiner einzigen Liebe über die KZ-Deportation bis zur frühen Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei. Er fügt hinzu: „Und heute ist es scheißegal, ob einer, der weniger arbeitet, Jude ist oder sonst was. Bloß die Schwulen… die haben wir vergessen.“ Generell gelingt es Heiner Carow sehr gut, die gesellschaftliche Stimmung im Umgang mit Homosexuellen einzufangen: Es regiert die Ablehnung, die Angst vor dem Andersartigen – was sich besonders bei den Drangsalierungen in der S-Bahn durch Skinheads zeigt (die es laut SED-Führung in der DDR nicht gab). Die innigen Liebesszenen zwischen Matthias Freihof und Dirk Kummer wirken nach heutigen Maßstäben mit vielen Umarmungen und zarten Küssen etwas verkrampft – auch wenn damals die Grenze des Zeigbaren in der untergehenden DDR erst ausgetestet werden musste. Dafür entsteht zwischen beiden Männern ein großes Maß an Intimität, so dass ihre Verbindung immer glaubwürdig wirkt.
Im Bonusmaterial des Mediabooks zu COMING OUT erinnern sich sowohl Matthias Freihof als auch Dagmar Manzel in 19-minütigen Interviews an die Dreharbeiten zurück, die sich über ein halbes Jahr lang hinzogen. Fast sechs Stunden Material seien so entstanden, verrät Manzel – während Freihof bemerkt, dass ihn eine im Drehbuch nur knapp beschriebene Masturbationsszene erst mit Unterlegung durch „Schlohweißer Tag“ von Silly gelang. Produktionsnotizen von DEFA-Stiftung-Mitarbeiter Philip Zengel im Booklet beleuchten ebenfalls den langwierigen Entstehungsprozess und die Rezeption des preisgekrönten Klassikers. Die HD-Bildqualität des Films hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Nur selten körnig, wirkt es sehr plastisch – allerdings muten die Gesichter gerade in hell ausgeleuchteten Szenen zuweilen etwas arg gestrafft und wächsern an.
LUTZ GRANERT
Titel: COMING OUT – Mediabook (Cover A)
Label: cmv laservision
Land/Jahr: DDR 1989
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 112 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht
DDR, DEFA, Topnews, mediabook bluray, gay, gay pride, mediabook, coming of age
- Erstellt am .