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Pelzjagd mit Pech & Pannen

Eine liebevolle Verbeugung vor Stummfilm-Klassikern: Die überdrehte Slapstick-Komödie HUNDREDS OF BEAVERS liegt nun auf DVD, Blu-ray und im Mediabook vor. 

Stummfilme sind ziemlich aus der Mode gekommen. Welcher Filmschaffende sich heute der antiquierten Ästhetik mit (künstlich ramponierten) Schwarz-Weiß-Aufnahmen und Zwischentiteln anstatt gesprochenen Dialogen bedient, braucht dafür entweder eine verdammt gute Rechtfertigung – wie der Oscar-Preisträger „The Artist“ (2011), welcher von der Transformation der Filmindustrie Hollywoods in den ausgehenden 1920er Jahre erzählt – oder zumindest eine gehörige Portion Wagemut. Letztere Tugend bringen Independent-Filmemacher Mike Cheslik und sein um wildes Grimassieren nicht verlegene Hauptdarsteller Ryland Brickson Cole Tews in großem Maße mit, die ihre überdrehte Slapstick-Komödie HUNDREDS OF BEAVERS mit einem Mini-Budget von gerade einmal 150.000 US-Dollar realisierten.  

Im ausgehenden 19. Jahrhundert versucht sich der gescheiterte Apfelschnaps-Produzent Jean Kayak (Ryland Brickson Cole Tews) im tiefsten Winter notgedrungen als Pelzjäger. Auch wenn er sich anfänglich bei der Jagd auf Waschbären, Wölfe, Hasen und Biber ziemlich unbeholfen anstellt, kann er bald erste Erfolge verbuchen. Beim Verkauf seiner Felle verliebt er sich in die Tochter eines argwöhnischen Fellhändlers, der diese Verbindung alles andere als gut heißt. Nur wenn Jean ihm Hunderte Biberfelle liefert, darf er um die Hand seiner Tochter anhalten. Doch die Nagetiere sind alles andere als dumm…

Mit abenteuerlichen, zum Teil auch hirnrissigen Fallen erlegt Jean bei eingeblendetem Highscore wie in einem Videospiel fröhlich Waldbewohner im Minutentakt – die allesamt von Schauspielern in flauschigen Plüschkostümen verkörpert werden. Dabei sprüht HUNDREDS OF BEAVERS vor Kreativität, die sich von eingefügten Landschaftshintergründen über Trick-Animationen bis hin zu running gags wie ein durch Pfeifen herbeigerufenen Specht oder den stets neben ein Gefäß spuckenden Pelzhändler erstreckt. Das cartooneske, durch retardierende Elemente insgesamt etwas aufgeblähte filmische Kuriosum steckt voller Anspielungen auf Stummfilm-Klassiker wie „Der Mann mit den 1000 Bräuten“ (1925) mit Buster Keaton und weckt bei einem Besuch in einer riesigen Holzfabrik der Biber Assoziationen an den Chaplin-Klassiker „Moderne Zeiten“ (1936). 

HUNDREDS OF BEAVERS spielt fröhlich-anarchisch mit klassischer Stummfilm-Ästhetik und ist dabei eine stilistisch vielgestaltige und krachend komische Verbeugung vor dem frühen Kino. Auch die vorliegenden Extras der Blu-ray können als schräg bezeichnet werden: Zwischen drei Audiokommentare der Filmemacher kann gewählt werden: einem nüchternen, einem betrunkenen und einem besoffenen. Mit Apple Jack? Egal, prost!

PS: Das Mediabook hält u.a. mit nicht verwendeten Szenen, Interviews mit Mike Cheslik und Hauptdarsteller Ryland Brickson Cole Tews sowie Werbematerial weitere Boni bereit.

PPS: Als klassischer Stummfilm geht HUNDREDS OF BEAVERS nicht durch, da Geräusche und Interjektionen zu hören sind. Der Autor dieser Review hat sich wissenschaftlich mit dem Thema klassischer vs. moderner Stummfilm beschäftigt.

LUTZ GRANERT

Titel: HUNDREDS OF BEAVERS
Label: Lighthouse Home Entertainment
Land/Jahr: USA 2022
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 108 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht

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