
Hand aufs Herz: welcher Prolog hat euch innerhalb weniger Minuten direkt ins Herz getroffen und schon vor dem eigentlichen Spielbeginn mit den Tränen kämpfen lassen? Das französische Entwicklerstudio spielt direkt zu Beginn seine Karten aus und besticht durch eine einfühlsame Erzählweise, extrem gut geschriebenen Dialogen und Charakteren, die man schnell ins Herz schließt. Gerade die Interaktion der Charaktere untereinander (man fällt sich bei Dialogen auch mal ins Wort), die Gestik und Mimik und die geschickt eingestreute Musik erschaffen direkt zum Einstieg eine Atmosphäre, die zwar ein leichtes Bioshock Infinite Feeling verursachen, aber gleichzeitig sehr eigenständig und authentisch ist.
Die Ausgangslage: Einmal im Jahr erwacht die Malerin und malt auf ihrem Monolithen. Sie malt ihre verfluchte Zahl. Und jeder in diesem Alter verwandelt sich in Rauch und verschwindet. Jahr für Jahr wird die Zahl kleiner und mehr von uns werden ausgelöscht. Morgen wird sie erwachen und „33“ malen. Und morgen brechen Rebellen zur letzten Mission auf: die Malerin zerstören, damit sie nie wieder den Tod malen kann. Die Idee ist schon sehr gut, die Umsetzung besser. Ihr könnt den Prolog auf unserem YouTube-Kanal anschauen (haltet Taschentücher bereit).
Gerade das Setting bringt frischen Wind in die Rollenspiellandschaft und tobt sich auf der Rollenspielwiese gründlich aus. Ich brauche Atmosphäre, eine spannende Geschichte, gute Inszenierung und einen charismatischen Soundtrack. Abseits der Wege ein wenig Erkunden ohne den Stress einer Open World (siehe auch: Open World- eine Hassliebe) und ein innovatives Kampfsystem würden die Sache für mich abrunden. Das alles (und einiges mehr) hat das französische Entwicklerstudio Sandfall mit ihrem Debüt (!) optimal abgeliefert und sich eine Identität geschaffen, die man auf dem Radar habensollte. Werfen wir einen Blick auf die einzelnen Details:
Die Welt – Welcome to the Jungle
Wenn Dark Souls und Bioshock ein Kind hätten, das in Frankreich geboren wird, könnte es so aussehen (und sich so anfühlen) wie Expedition 33. Ein zerstörtes Paris abgefahrene Erfindungen und gleichzeitig die melancholische Grundstimmung im Prolog sprechen Bände. Im Laufe der Expedition entdeckt man ein Leveldesign, das es in sich hat. Ohne zu Spoilern, aber auf der Expedition hatte ich einige Male Gänsehaut, habe mich in morbiden Gefilden zu Hause gefühlt und mir ist bei einem Level derart die Kinnlade heruntergeklappt, dass ich das Element „Wasser“ von nun an mit anderen Augen sehe. Gerade die abgefahrenen Ideen und wie man diese auf das Gegnerdesign überträgt und bei Kämpfen nutzbar sind, ist schon eine Klasse für sich. So kann man beispielsweise Gegner, die mit Wasserminen attackieren, mit einem gezielten Schuss ins Jenseits befördern, während die Explosion anderen Gegnern Schaden zufügt. Auf meinem Streifzug war von farbenfroh, über mystisch bis zu leichten Horrorelementen alles dabei. Gerade die Liebe zum Detail in Kombination mit dem Herzblut der Entwickler pusht die Atmosphäre extrem voran. So wird beispielsweise ein Händler charismatisch vorgestellt, ehe man mit ihm Handeln kann. Für bessre Preise kann man ihn zum Kampf herausfordern und zusätzlich ist noch die Hauptquest mit seinem Dorf verknüpft, wo wir weitere Details erfahren. Auch ein mystischer Fremder unterstützt uns beim Upgrade der Waffen, wobei seine Hintergrundgeschichte (noch?) nicht erkennbar ist.
Fight! – Das Kampfsystem
Das Gegnerdesign ist schon einzigartig und macht sehr großen Spaß. In Sachen Kampfmechanik setzt man hier auf ein rundenbasiertes Kampfsystem, das mit Echtzeitelementen (Parieren, perfekter Treffer & Ausweichen) kombiniert wird. Klingt simpel, wird aber im weiteren Spielverlauf verfeinert und macht die Kämpfe taktisch anspruchsvoller. So kann man beispielsweise Angreifen, um Schaden zu verursachen, Gegenstände einsetzen (beispielsweise zum Heilen) oder eine Fähigkeit einsetzen. Die Fähigkeiten kann man aufleveln und zusätzlich neue Erlernen. Schwachpunkte der Gegner können vorab beschossen werden und jeder Gegnertyp hat auch seine Anfälligkeit und Immunität (beispielsweise immun gegen Blitz aber anfällig für Wasserschaden). Waffen können ebenfalls aufgelevelt werden und die persönliche Entwicklung kann auch jederzeit umgeskillt werden. Der Mix aus Taktik und Echtzeitaction motiviert auch viele Stunden später und macht einfach großen Spaß. Wer sich eher auf die Geschichte konzentrieren möchte, kann die Kämpfe im Storymodus schnell vereinfachen.
Blut, Schweiß und Tränen – Emotionen pur
Man kennt es aus guten Büchern, packenden Filmen und Serien oder bereits aus anderen Spielen. Die Figuren wachsen einem ans Herz und deren Schicksal geht uns nahe. Hier spielt Clair Obscur seine ganz große Trumpfkarte aus und das sind definitiv die Emotionen. Wo andere auf Grafikbombast, actiongeladene Kampfsequenzen oder ein ausgeklügeltes Buildingsystem setzen, stehen hier die Gefühle komplett im Mittelpunkt. Die Charaktere sind zwar vorgegeben und man kann keine Entscheidungen treffen, aber es gab einige sehr einschlägige Momente, in denen ich mit den Tränen kämpfen musste. In einem völlig unerwarteten Moment macht die Geschichte eine Wendung und setzt den Schwerpunkt der Geschichte auf die Kraft der Freundschaft, ohne dabei das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren. Dabei werden Geheimnisse aufgedeckt, die nicht nur den Hintergrund der Ausgangslage verraten, sondern auch moralische Fragen aufwirft. Das Spiel nimmt sich genau in den richtigen Momenten Zeit dafür und sät die Langzeitmotivation in das Herz, das im weiteren Spielverlauf noch viele Spielstunden lang belohnt werden soll. Emotionen sind definitiv die Kernkompetenz von Clair Obscur und für mich das Argument schlechthin, sich auf die Expedition 33 zu begeben.
Schlauchförmig oder Open World?
Wer eine n riesigen Open World Spielplatzt im Stile von Assassin´s Creed erwartet, wird hier nicht fündig werden und das ist auch gut so. All zu schlauchförmig sind die Level aber auch nicht, führen aber recht einfach an das Spielziel. Auch wenn man der Hauptquest relativ linear folgen kann, so wird Erkunden abseits der Wege mit Kämpfen und außergewöhnlicher Beute belohnt. Das atmosphärische Leveldesign ist dabei ebenso charmant, wie die flüssige Steuerung, mit der man auch einige Jump´n Run Einlagen hinlegen kann. Je länger man mit der Exppedition beschäftigt ist, desto natürlicher fühlt sich die Welt und der Spielfluss an. Folgt man der Hauptquest, erlebt man eine charismatische Geschichte, die stundenlang vorm Bildschirm fesselt, Das liegt an den sehr gut geschriebenen Dialogen, aber auch an den motivierenden Kämpfen (inklusive sehr gutem Soundtrack). Die Zwischensequenzen stellen ebenfalls ein Highlight dar, denn man lernt innovative Charaktere kennen und erlebt sowohl emotionale als auch humorvolle Momente. Trotz der düsteren Ausgangslage nimmt man sich Zeit für viele Details, die das Spiel auflockern und langfristig motivieren.
Ein Blick auf die Technik
Keine Bugs, keine Abstürze, solider und flüssiger Spielverlauf. Während des Tests verlief alles optimal und man legt hier sehr großen Wert auf Sorgfalt. Zusätzlich sind persönliche Anpassungen möglich. Neben den üblichen Verdächtigen ist auch der Schwierigkeitsgrad für Storyerkunder oder Hardcoretaktiker gut wählbar. Auch aknn man hier zwischen „Leistung“ für eine höhere Framerate oder „Qualität“ für eine verbesserte Auflösung wählen. Besitzer einer PlayStation 5 Pro dürfen sich außerdem auf eine optimierte Version freuen, da Expedition 33 als PlayStation 5 Pro Enhanced unterstützt.
Fazit:
Claire Obscur: Expedition 33 macht vieles richtig und überrascht mit seinem charismatischen Design, packenden Kämpfen und der spannenden Geschichte. Der Soundtrack ist derart atmosphärisch, dass ich hoffe, eines Tages die Vinylversion davon in den Händen halten zu können. Aber vor allem konzentriert man sich hier auf das Wesentliche: eine gute Zeit mit einem Rollenspiel zu haben. Jenseits von riesigen Open Worlds, herausfordernden Soulslikes oder epischen Onlineuniversen hat das Spiel eine Nische gefunden, in der es viele Rollenspielfans aus unterschiedlichen Lagern abholen wird. Das Erkunden der neuen Welt macht einfach extrem viel Spaß, die Kämpfe nutzen sich auch nach mehreren Spielstunden nicht ab und das Zusammenspiel der Charaktere funktioniert einwandfrei. Natürlich kann man auch Kritik üben, indem man Vergleiche zu anderen Spielen zieht und versucht, es in eine Nische zu ziehen. Aber für einen Erstling in der Spielebranche haben Sandfall einen fantastischen Start hingelegt und ich bin mir sicher, dass diese Expedition nicht das letzte ist, was wir von den Entwicklern hören werden. Wo Witcher 3 mit seinen Geschichten auftrumpfen konnte, da kann ein Clair Obscur: Expedition 33 mit Emotionen, motivierendem Kampfsystem und innovativem Leveldesign seine eigene Spur hinterlassen. Die Expedition lohnt sich definitiv!