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Eiserne Grüße! Im Buch besucht der Ich-Erzähler im September 1982 sein erstes Spiel von Union Berlin. Wann standest du das erste Mal im Fanblock an der Alten Försterei?

Mein erster Besuch bei Union war am tatsächlich am 25. September 1982. Gegen Vorwärts Frankfurt, so wie es im Buch steht. Damals gab es noch keine Grenzen zwischen Fanblock und „normalen“ Zuschauern, das heißt überall im Stadion wurde gebrüllt und gesungen, Choreografien und organisierten Support wie man es heute kennt, gab es nicht. Irgendwer hat angefangen mit einem Schlachtruf und die anderen haben mitgemacht. Oder auch nicht.

 

Besonders die Fans vom ehemaligen, finanziell stark geförderten Stasi-Verein BFC Dynamo kommen bei dir schlecht weg – vor allem in Person des Skinheads Svene. Welche Feindschaften werden von Union-Fans heute noch aktiv gepflegt und warum?

In den 80ern und 90ern musste man schon aufpassen, wer in die S-Bahn steigt und in welchem Wagen man lieber nicht mitfährt. Wir haben die Bfies ja teilweise auf unseren (Heim-)Wegen getroffen und das war oft nicht lustig. Zumal die meist drei Köpfe größer waren… Die Feindschaft zum BFC ist bei Union schon geblieben, aber glücklicherweise begegnen sich die beiden Mannschaften nicht mehr. Und die Protagonisten von damals sind ja auch in ein Alter gekommen, wo man es ruhiger angehen lässt.

Ansonsten ist Union eher ein Verein, bei dem Feindschaften keine Rolle spielen, zumindest keine kollektiven. Eine Ausnahme ist allerdings „RB Leipzig“. Aber da geht es nicht um Feindschaft, sondern um die Ablehnung der Strukturen dieses Retorten-Vereins. Die spielen zwar in Leipzig, aber die sind nicht Leipzig. Die gehören nicht zum ostdeutschen Fußball dazu. Und das werden sie auch nie. Man kann ja in der modernen Welt viel kaufen, aber keine Tradition. 

 

 

In der 1. Bundesliga ist Union Berlin durch seinen 7. Platz in die Conference League eingezogen. Gehört der Club deiner Meinung nach ins internationale Geschäft oder verliert er dadurch sein Image als Underdog oder "Arbeiterverein"?

Schwierige Frage. Klar ist es schön, auch mal gegen ausländische Teams zu spielen und jeder Auswärtsfahrer träumt davon, die Mannschaft in Baku, Kopenhagen oder was weiß ich wo anzufeuern. Ich brauch' das nicht unbedingt. Dem Image würde es aber auf keinen Fall schaden, schließlich hat der Verein eine klare Linie, was die Kommerzialisierung betrifft. Und die wird er auch nicht verlassen, hoffe ich. Union bleibt Union, egal in welcher Liga sie spielen.  

 

Gibt es bei AN DER MITTELLINIE STEHEN DIE COOLEN JUNGS bei aller Fiktion reale Ereignisse aus deiner Biografie, die wirklich so stattgefunden haben? Hast du dich mit 14 tatsächlich auf einem Union-Spiel das erste Mal geknutscht?

Der Titelheld ist zwar eine Kunstfigur, aber natürlich hat der auch Vieles von mir selbst. Ich glaube, anders könnte ich auch gar nicht schreiben. Die Spieltage sind alle real. Jeder Termin, jedes Ergebnis und jeder Torschütze stimmt. Als Gentleman bewahre ich selbstverständlich Schweigen darüber, ob das mit dem erstem Knutschen so stimmt. Musste ich ihr damals versprechen.  

 

Draufgänger Kai, der dicke Wenzel mit Vorliebe für Bockwürste oder deine Omi, die den Weidetieren Fußballschals umhängt: Gibt es reale Vorbilder mit ähnlichen Charakterzügen?

Meine Omi war eine tolle Frau, mit einem schrägen Humor und einem ganz großen Herz. Für das Buch hat sie aber natürlich noch einige Facetten dazubekommen. Kai und Wenzel sind ja die typischen Schulfreunde, die man früher so hatte. Ich hab sie für das Buch nur eben nochmal neu erfunden.

 

Im Buch verbringst du die Sommer im ländlichen Sachsen, in der Nähe von Freiberg. Heute bist du auch noch regelmäßig da und besuchst deine Eltern. Was verbindest du als Ur-Berliner mit dieser Region?

Ich habe da tatsächlich sehr viel Zeit meiner Kindheit und Jugend verbracht und war in fast allen Ferien dort. Für mich ist das Heimat. Natürlich hat sich auch dort viel verändert, aber wenn ich da hinfahre, fühlt es sich immer wie nach Hause kommen an.

 

Du packst in deine Coming-of-Age-Geschichte mit Berliner Mundart auch sehr viel, nun ja, pubertären Humor um kleine Pimmel und die "richtige" Farbe von Brustwarzen mit hinein...

Das war ja damals eine ganz andere Zeit, ohne Internet und ohne Pornos. Bilder von nackten Frauen gab's eigentlich nur in der Zeitschrift „Magazin“. Pro Ausgabe eins, manchmal drei. Und dann waren das immer künstlerische Aktdarstellungen von Frauen mit Fellschlüpfern. Bilder von nackten Männern gab es gar nicht. In der Schule wurde das Thema Sex unter streng biologischen Aspekten behandelt und eigentlich wussten wir gar nichts. Weder über uns, und erst recht nicht über die Mädchen. Insofern hab' ich die Jungs im Buch eben auf die humorvolle Art rätseln lassen, was richtig und was falsch ist, was wie groß, in welcher Form und Farbe zu sein hat.

Autor Mikis Wesensbitter im Fanzug

 

Auch "running gags" sorgen immer wieder für ein Grinsen. Musst du heute immer noch nachdrücklich darauf hinweisen, dass dein immerhin eher exotischer Vorname nichts mit der Katze Mikesch zu tun hat?

Dieser fürchterliche Fernseh-Kater ging mir wirklich schwer auf die Nerven in den 80ern. Und tatsächlich gibt es auch heute noch Leute die mich so nennen, weil sie denken, ich würde so heißen. Es gibt ein paar, die das dürfen. Aber das müssen die sich auch verdient haben! 

 

Was vermisst du bei allen ostalgischen Momenten in deinem Buch heute an der ehemaligen DDR am meisten?

Oh, ich glaub', mit der Antwort auf diese Frage könnte ich gleich das nächste Buch füllen. Am meisten vermisse ich tatsächlich die Langeweile. Ich bin ja noch mit einer Sendepause im Fernsehen groß geworden, da kam dann einfach nur ein Testbild im Fernsehen. Und ansonsten war die Auswahl auch nicht besonders prall. Da musste man sich also was ausdenken. Briefeschreiben war eine Alternative. So richtig mit Papier und Füller. Macht heute ja kaum noch ein Mensch. Bücher lesen war eine andere Möglichkeit. Wir haben mal Bibliothek-Verbot bekommen, weil wir zum dritten Mal in einer Woche da aufgetaucht sind…
Eine andere Sache, die im Buch nur am Rande präsent ist, weil die Jungs da einfach noch zu jung für sind, die mich aber sehr geprägt hat, war, dass Geld unwichtig war. Existenzangst gab es nicht und wenn man selber kein Geld mehr hatte, dann hat halt jemand anderes bezahlt. Dem Osten wird zwar nachgesagt, dass er eine Mangelgesellschaft war, aber was man zum Leben brauchte, gab es „gut & günstig“. Es war ein wunderbares Gefühl, frei davon zu sein, sich mit Geldsorgen zu quälen. Das war einfach unbezahlbar.

Das Gespräch führte LUTZ GRANERT.



Titel: AN DER MITTELLINIE STEHEN DIE COOLEN JUNGS
Autor: Mikis Wesensbitter
Verlag: Edition Subkultur
Seiten: 224