Radikal brutal: Den (Fleisch)spieß herumgedreht
In DIE GESELLSCHAFT DER TIERE wird der Spieß buchstäblich umgedreht: Menschen landen auf dem Teller, Tiere führen das Messer. Ein radikaler Splatter-Manga über Macht, Moral – und die Frage, wer hier eigentlich das Monster ist.
Ob die Gesellschaftskritik – also unser Umgang mit Nutztieren – nur ein oberflächlicher Kleister auf der Splatter-Manga-Serie DIE GESELLSCHAFT DER TIERE ist, muss der volljährige Leser selbst entscheiden.
Liebe Leser, sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt: Seite um Seite warten neue, grenzüberschreitende Geschmacklosigkeiten. Vergewaltigung, Kannibalismus, brutale Morde, das Zerlegen von Körpern, Fressorgien – und obendrein eine ordentliche Portion menschenverachtender Zynismus.
Unerfahrene Leser dürfte das definitiv abschrecken, alle anderen könnten das als Kaufanreiz sehen – die Unerschrockenen haben damit wohl den aktuell brutalsten Manga auf dem deutschen Markt auf dem Tableau.
Darum: Vorhang auf für ein Büchlein mit den ersten fünf Kapiteln, das trotz bluttriefender Abscheulichkeiten einige Reize hat. Denn wischt man den ganzen Schmodder beiseite, kann Takuya Okadas Vision (oder besser: Anti-Fabel) als radikaler Kommentar zu unserem Fleischkonsum gelesen werden – wenn man denn möchte.
Also, worum geht es?
Ein namenloser Mann und seine Tochter Chika haben einen Autounfall. Eine bärige Gestalt hilft den beiden aus dem Wrack. Als der Vater wieder zu sich kommt, begrüßt ihn freundlich ein menschlich wirkendes Schwein. An einer langen Tafel mit anderen Tiermenschen stärkt er sich genüsslich, wird durchs Dorf geführt – und stellt schnell fest: In einem Stall werden tierische Menschen gehalten. Rasch wird klar, dass sie als Nahrung für die Dorfgemeinschaft der Tiere dienen. Und der Mann? Nur ein weiteres Stück Frischfleisch.
Obendrein hat die gesellschaftliche Elite der Tiere ein besonders perfides Vergnügen: die Treibjagd. Chikas Vater wird zum nächsten namenlosen Opfer – zum Spaß der mehr oder weniger „zivilisierten“ Tiermenschen. Und das ist erst der harmlose Anfang.
Instinkte sind Instinkte. Wir sind auch nur Tiere. Wir haben uns die Tierwelt untertan gemacht – zum Vergnügen, zum Konsum, zum Geldverdienen. Diesem perversen Treiben wird hier gnadenlos der Spiegel vorgehalten. In Okadas Manga geht es um Herrschaft, Willkür, das Recht des Stärkeren, Ausbeutung und Moral. Ebenso um Gefühle, niederste Instinkte und schamlose Vorteilnahme.
Absurd übersteigert, aber erschreckend nah an der Realität. Das Radikale daran: Der Spieß wird buchstäblich herumgedreht. Denn am Fleischspieß brät kein Spanferkel – sondern ein Mensch. Da möchte man als Leser vor Scham gleich Veganer werden. Oder sich bestärkt fühlen, es weiterhin zu bleiben. Also dann: Wohl bekomm’s!
Übrigens: Ganz frisch auf dem deutschen Markt ist von Carlsen bereits der zweite Teil erschienen; alle weiteren sollen noch folgen. Die Serie ist im Original noch nicht abgeschlossen. Ein Blick in Band zwei offenbart – ja, was wohl? Natürlich: mehr von allem. Nur weniger Gesellschaftskritik. Das kann ja noch heiter werden.
MARCUS CISLAK
Autor: Takuya Okada
Zeichner: Takuya Okada
Verlag: Carlsen
Seitenzahl: 203 Seiten
Verkaufsstart: veröffentlicht