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Die Rückkehr der chaotischen Timurhelfer

Unser geschätzter Kollege und multimania-Urgestein Mikis Wesensbitter ist seit jeher Fan des 1. FC Union Berlin. Mit DIE COOLEN JUNGS STEHEN JETZT HINTERM TOR legt er den zweiten Teil seiner in der DDR verhafteten Autofiktion vor, die wieder mit allerlei pubertärem Humor und (Berliner) Mundart aufwartet.

Der pummelige Wenzel, Draufgänger Kai sowie Streber und Ich-Erzähler Mikis sind knallharte Union-Fans und besuchen (fast) jedes Spiel ihres um den Klassenerhalt kickenden Vereins. Zusammen mit Manuela aus der Schule haben sie den Fanclub Oberspree gegründet. 

Im August 1983 startet die neue Saison in der DDR-Oberliga. Für Mikis, der inzwischen 15 Jahre alt geworden ist, wird es eine spannende Zeit – und das nicht nur, weil sich das Quartett neuerdings im Stadion an der Alten Försterei zwischen Höhe Mittellinie, den Fans der Oberschöneweidern und dem Block hinterm Tor aufteilt. So lernt Mikis bei einem seiner wie aus schlechten Agentenfilmen anmutenden Abenteuer mit seinem Stasi-Onkel Kurt die Diplomatentochter Kimberly kennen, die ihm gehörig den Kopf verdreht. Doch da sie von ihren Eltern streng erzogen wird und Mikis deren Level an Kultiviertheit nicht erreicht, steht die aufkeimende Liebesbeziehung, bei der Mikis zwar noch nicht seine Jungfräulichkeit, aber seine Haarpracht verliert, auf der Kippe. Auch ein weiterer Kumpel von Mikis hat es schwer. Der in den Westen abgeschobene Unruhestifter Jokel verspürt nämlich Heimweh und steht, zurück in Ostberlin, unter stetiger Beobachtung der Stasi – welcher er wiederholt Schnippchen schlägt. 

Mikis Wesensbitter entstaubte drei Jahre nach „An der Mittellinie stehen die coolen Jungs“ erneut seine alten Tagebücher und Erinnerungskisten im Keller – und bleibt sich treu. Auch im autobiografisch gefärbten Fortsetzungsroman DIE COOLEN JUNGS STEHEN JETZT HINTERM TOR reiht er Begebenheiten – nun vom August 1983 bis Juni 1984 – mit einer eher losen kausalen Verkettung aneinander. Als Kit dieser Erinnerungen dienen im Wesentlichen die Spiele von Eisern Union, zu denen sich die leidenschaftlichen BFC-Dynamo-Hasser im Stadion an der Alten Försterei einfinden. 

Seit mit „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich‘ ma Spaß!“ im Jahr 2015 sein erster DDR-Roman in der Edition Subkultur des Periplaneta-Verlags erschien, lässt uns Mikis an seinen autofiktionalen Erinnerungen an die Jugend im real existierenden Sozialismus teilhaben. Abseits eines vergnüglichen Name-Droppings verschiedener DDR-Zigaretten- und Biermarken wartet er hier auch mit allerlei spöttischem Humor gegenüber sozialistischen Institutionen auf. Brüllkomisches Highlight ist eine aus dem Ruder laufende Versammlung der DDR-Jugendorganisation FDJ, als die ebenso greise wie beschwipste Genossin Iskander über gestrickte Unterwäsche vom Leder zieht. Wehrkunde-Unterricht wird durch kecke Zwischenfragen zu verschossenen Körperteilen jegliche Ernsthaftigkeit genommen, und unschuldig getragene Kapuzenpullover mit dem Kürzel G.A.P. werden von linientreuen Lehrern subversive Botschaften angedichtet. 

Über derlei Anekdoten hinaus gewährt das Buch aber auch tiefen Einblick in den Alltag in der DDR und die damals üblichen wiederkehrenden Mittagsgerichte. Das Geheimnis, was grüne Glitscher (mit Apfelmus) genau sind, wird jedoch nicht gelüftet.   Ohnehin ist der Humor – passend zum Alter des Ich-Erzählers – ebenso unschuldig wie pubertär, aber auch krachend komisch. Wenn die Halbwüchsigen in Berliner Mundart laut darüber nachdenken, ob die ätherischen Öle der Bronchensalbe Pulmotin am Pillermann nun das Lustempfinden und die Glitschigkeit fördern oder nicht, kommt der Leser nicht umhin, sich ein Lachen zu verkneifen. Neben Pädophilen im Stadion bekommt auch Saskia, die Frau von Mikis‘ Onkel Kurt, eine ordentliche Abreibung. 

Mikis schaut seinen Protagonisten aufs Maul – und zielt bei den treffenden Pointen auch schon mal unter die Gürtellinie. Doch gerade wegen dieser authentischen Anmutung ist DIE COOLEN JUNGS STEHEN JETZT HINTERM TOR ein großer Spaß. Es bleibt zu hoffen, dass noch ein weiterer Teil folgen wird – auch wenn Mikis das im Vorwort (nahezu) ausgeschlossen hat. 

LUTZ GRANERT

Titel: DIE COOLEN JUNGS STEHEN JETZT HINTERM TOR
Autor: Mikis Wesensbitter
Verlag: Periplaneta (Edition Subkultur)
Seitenzahl: 272