Skip to main content

Moebius und Jodorowsky: Gipelftreffen der Kreativen

Von einem Film, der niemals gedreht wurde, zu einem Comic: LUST & GLAUBE erfährt eine neue Edition.

Derzeit beeindruckt „Dune: Part Two“ in den Kinos mit seinen detailreichen Kulissen und seinem düsteren Look. Doch wie hätte eine Adaption von Frank Herberts Romanvorlage mit „The Rolling Stones“-Frontmann Mick Jagger, Meisterregisseur Orson Welles als Baron Harkonnen und dem Surrealisten Salvador Dalí als Imperator im Cast ausgehen, die zur Musik von Pink Floyd und anhand der Storyboards von Moebius durch Kulissen des späteren Oscar-Preisträgers H. R. Giger („Alien“) in 14 bis 16 Stunden Filmlaufzeit über Arrakis gestapft wären? Ein Stückweit kann das in dem Dokumentarfilm „Alejandro Jodorowsky’s Dune“ (2013) nachvollzogen werden (derzeit in der arte-Mediathek zu sehen), der auch den Einfluss seines mehrere Kilo schweren Skizzenbuchs auf andere, später realisierte Hollywood-Blockbuster beleuchtet.

Viele Geschichten aus der Kreativbranche wären nun bereits zuende – doch die von der Kooperation zwischen Jodorowsky und Moebius (alias Jean Giraud), die sich zufällig im März 1975 in Paris über den Weg liefen, sollte fruchtbar weitergehen. Wenn auch anders als gedacht. Beide experimentierfreudige Künstler verbindet eine esoterische Suche nach der Wirklichkeit – und wie lässt sich diese besser ausdrücken als in den bunt gefärbten Panels des Comics? Nach „Die Augen der Katze“ (1978) und „Der Incal“ (1981-88) war LUST & GLAUBE das dritte gemeinsame Projekt.

Hier erzählt das Kreativduo die Geschichte des Philosophieprofessors Alain Mangel, der in seinen Vorlesungen das Prinzip des Nicht-Handelns regelrecht predigt und Sex entsagt hat. Kein Wunder, dass sich seine Frau von ihm scheiden lässt. Da tritt die Studentin Elisabeth in sein Leben, die – so glaubt sie – mit Alain den Messias zeugen muss. Auch wenn Alain das für religiöse Spinnerei abtut, bändelt er mit ihr an – und findet sich bald in einer kleinen Kommune mit dem zwielichtigen Muhammad und der Drogenbaron-Tochter Maria wieder, die sich als zweigeschlechtliche Inkarnation von Jesus Christus versteht...  

Die vorliegende Gesamtausgabe von LUST & GLAUBE ist gegliedert in drei sowohl inhaltlich als auch bei den Panels unterschiedliche Teile: Im ersten Teil „Die Irre von Sacré-Coeur“ wird mit einem sehr nüchternen, scharfen Strich mit klar konturierten Gesichtern und gedeckten Farben ins Denken von Alain Mangel eingeführt – wobei einmal in einem kurzen Exkurs zum biblischen Zacharias Moebius in einer gelb-grün erstrahlenden Urwald-Szenerie ein psychedelischer Bildersturm entfesselt wird. Das grüne Gespenst seiner Jugend wird eingeführt, dass dem arrivierten Kopfmenschen regelrecht im Nacken sitzt. Der zweite Teil „Gefangen im Irrationalen“ nimmt nach einer Orgie (bei der Bildkomposition fühlt man sich an Jodorowskys „Der heilige Berg“ erinnert) eine unvermittelte Wendung: Plötzlich betritt die Drogenmafia das Geschehen in farblich ungleich knalligeren, actionreichen Tableaus. „Der Irre von der Sorbonne“ wiederum ist enorm vollgestopft: Die zuvor durchschnittliche Anzahl von sechs Panels pro Seite wird mal eben verdoppelt und mit Sprechblasen regelrecht überladen, wenn Alain in symbolisch aufgeladenen, surrealen Kompositionen seiner eigenen Erleuchtung entgegenstrebt.    

Ohnehin ist es erstaunlich, mit wieviel Story LUST & GLAUBE auf knapp 200 Seiten aufwartet – und wie ernsthaft sich Moebius und Jodorowsky mit dem Themen Erotik und (damit verbundener) Spiritualität auseinandersetzen. Dabei grenzen sie sich deutlich von religiöser Scharlatanerie ab, der sie in Gestalt einer opportunistischen Bettlerin vor der Sacré-Coeur mit einem erkennbaren Augenzwinkern begegnen. Apropos Augenzwinkern: Alain sorgt nicht nur mit seinem rationalen Denken in dem ihm umgebenden Wahnsinn, sondern auch mit seiner Kolik für Lacher, die ihn immer wieder nur schwer kontrollierbare, übelriechende Absonderungen von sich geben lässt. 

Mit der im April erscheinenden Neuedition von LUST & GLAUBE hält man auch wegen dem Bonus „Erinnerungen von Patin de La Fizelière“, der von Moebius surreal bebildert wurde, ein kleines Stück Comicgeschichte in den Händen, der vom einführenden Essay von Andreas C. Knigge abgerundet wird.

LUTZ GRANERT

Titel: LUST & GLAUBE – Gesamtausgabe (Neuedition)
Autor/Zeichnungen: Alejandro Jodorowsky, Moebius
Verlag: Schreiber & Leser
Erscheinungsform/Seitenzahl: Hardcover, 208 Seiten
Verkaufsstart: April 2024

wüstenplanet, Dune, jean giraud, moebius, alejandro jodorowsky

  • Aufrufe: 1303